18.05.2018

Felix E. Müller, Chefredaktor der NZZ am Sonntag.
Der Bundesrat hat sich am 4. Juli zum zweiten Mal innert einer Woche über die laufenden Verhandlungen um ein Rahmenabkommen mit der EU ausgesprochen. Die erzielten Fortschritte sind offensichtlich und waren den Fragen zu entnehmen, die an der anschliessenden Medienkonferenz von Ignazio Cassis gerade nicht gestellt wurden: Das Thema «Fremde Richter» kam erst gegen Ende der Veranstaltung aufs Tapet.
Es ist offensichtlich, dass sich Brüssel und Bern in der Frage der Streitbeilegung auf eine Lösung mit einem dreiköpfigen Schiedsgericht geeinigt haben. Gegen ein Schiedsgericht mit einem von der Schweiz ernannten Richter und einem von beiden Parteien gemeinsamen bestimmten Präsidenten lässt sich der Vorwurf «Fremde Richter» nicht mehr gut erheben. Damit beerdigte das Duo Cassis/Balzaretti innert weniger Monate die Hypothek, die der ehemalige Staatssekretär Yves Rossier geschaffen hatte. Dieser glaubte, eine Streitschlichtung durch den Europäischen Gerichtshof (EUGH) sei die richtige Lösung des Problems und liess sich in einem Interview zum fatalen Satz hinreissen «Ja, es sind fremde Richter. Es geht auch um fremdes Recht». Letztlich besiegelte er damit das Ende seiner Verhandlungsstrategie, dann sein Ende als Staatssekretär und schliesslich die Bundesratskarriere von Didier Burkhalter, der nicht mehr aus der Sackgasse herausfand, in die ihn Rossier gelockt hatte.
Was bleibt an offenen Verhandlungspunkten? Offensichtlich sind die beiden Parteien beim Thema «Flankierende Massnahmen» noch uneins. Der EU sind diese ein Dorn im Auge. Allerdings ist sie selbst gerade daran, ihre eigenen flankierenden Massnahmen, die unter dem Begriff «Entsenderichtlinien» daherkommen, zu verschärfen. Erst in den kommenden Wochen wird sich in Brüssel klären, wie im Detail die neuen Bestimmungen aussehen. Die schweizerische Verhandlungsposition wird dadurch aber sicher tendenziell verbessert. Um was aber soll denn überhaupt verhandelt werden? Der Bundesrat hat klargemacht, dass er an der Substanz, dem Lohnschutz und der 8-Tage-Anmeldefrist für ausländische Firmen, nichts ändern will. Aber es scheint, dass es bei den Abläufen, den Modalitäten, den schweizerischen bürokratischen Erschwernissen Verbesserungspotenzial gibt. Dieses will der Bundesrat nun in den nächsten Wochen ausloten.
Dabei wird er vor allem das Gespräch mit den Gewerkschaften suchen. Diese haben ja, nachdem Bundesrat Cassis vor drei Wochen vielleicht etwas unvorsichtig laut über Änderungen bei «den Flankierenden» nachdachte, ein heftiges Sperrfeuer aufgebaut. Da war und ist natürlich viel verhandlungstaktisches Powerplay im Spiel: Wer so laut auf Vorrat droht, möchte dem Bundesrat die Veränderungsfreude rauben. Doch die Linke wird sich sagen lassen müssen: Sie war massgeblich daran beteiligt, dass die Masseneinwanderungsinitiative mit dem Inländervorrang nur sehr weich umgesetzt wurde. Der SVP mutete sie ohne Hemmungen zu, diese Kröte zu schlucken. Wer jetzt aber verlangt, dass bei den Flankierenden nur exakt die jetzige Regelung und der jetzige Wortlaut akzeptabel seien, handelt widersprüchlich. Nicht das Wie ist entscheidend, sondern das Was, in diesem Fall der Schutz schweizerischer Arbeitnehmer.
Felix E. Müller
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